Der Europäische Gerichtshof hat die Tür für den Widerruf von Darlehen, insbesondere von Autokrediten, weit aufgestoßen. Mit Urteil vom 9. September 2021 machte der EuGH deutlich, dass Darlehensverträge noch lange nach ihrem Abschluss widerrufen werden können, wenn die Bank unzureichende oder fehlerhafte Widerrufsbelehrungen bzw. Pflichtinformationen verwendet hat (Az.: C-33/20, C-155/20, C-187/20). Insbesondere rügte das Gericht, dass die Angaben zum Verzugszins oder zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung oft unzureichend sind.
„Das Urteil des EuGH ist absolut wegweisend und auch deutsche Gerichte dürften sich an dieser Rechtsprechung orientieren. Damit ist für zahlreiche Verbraucher der Weg zum Widerruf ihres Kredits frei. Durch den Widerruf können sie beispielsweise günstig umschulden und von den anhaltenden Niedrigzinsen profitieren. Im Fall eines Autokredits kann der Widerruf auch ein lukrativer Weg sein, aus dem Kaufvertrag auszusteigen und das Fahrzeug zurückzugeben“, sagt Rechtsanwalt Christian Heitmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht aus Frankfurt.
Vor dem EuGH ging es konkret um Kreditverträge der VW Bank, Skoda Bank und BMW Bank. Das Landgericht Ravensburg hatte dem höchsten europäischen Gericht Fragen zur Widerrufbarkeit dieser Verträge vorgelegt. Der EuGH entschied verbraucherfreundlich. Die Darlehensverträge seien auch Jahre nach Abschluss noch widerrufbar, da die Banken den Darlehensnehmern nur unzureichende Informationen erteilt hätten.
So machten die Richter deutlich, dass eine pauschale Angabe zum Verzugszins wie beispielsweise „5 Prozent über dem Basissatz“ nicht ausreiche. Der Verzugszins müsse vielmehr in seiner konkreten Höhe zum Zeitpunkt der Vertragsschlusses angegeben werden. Zudem müsse die Bank konkret beschreiben, wie sich der Verzugszins anpasst. Außerdem müsse dem Darlehensnehmer klar und verständlich dargelegt werden, wie sich die Vorfälligkeitsentschädigung im Falle einer vorzeitigen Ablösung des Kredits berechnet.
Der EuGH stellte außerdem klar, dass dem Verbraucher die wesentlichen Informationen über außergerichtliche Beschwerde- oder Rechtsbehelfsverfahren erteilt werden müssen. Ein Hinweis auf eine im Internet abrufbare Verfahrensordnung reicht nicht aus.
Die Richter in Luxemburg erteilten auch dem vielfach verwendeten Argument von Banken, dass das Widerrufsrecht der Darlehensnehmer bereits verwirkt sei oder rechtsmissbräuchlich ausgeübt werde, eine deutliche Absage. Eine Bank könne sich nicht auf Verwirkung des Widerrufsrechts berufen, wenn sie selbst durch fehlerhafte oder unzureichende Informationen den Widerruf möglich gemacht hat.
„Die Angaben zum Verzugszins oder zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung dürften nach der Rechtsprechung des EuGH in den Darlehensverträgen der meisten Banken unzureichend sein, so dass der Widerruf möglich ist“, so Rechtsanwalt Heitmann.
Gerade bei Autofinanzierungen kann der Widerruf interessant sein, da zwischen Autokauf und Kreditvergabe häufig ein sog. verbundenes Geschäft vorliegt. Das führt dazu, dass nach einem erfolgreichen Widerruf sowohl der Kreditvertrag als auch der Kaufvertrag rückabgewickelt werden. Der Verbraucher kann dann das Auto an die Bank geben und erhält seine bereits gezahlten Raten inkl. Anzahlung zurück.
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